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Sprache und Gender

„Wenn wir jetzt mit dem Stern reden müssen, dann hat das nichts mit einer natürlichen Sprachentwicklung zu tun und es stört den Lesefluss!“


Dieser Satz fiel bei einem meiner letzten Seminare und war ein recht intensiver Einstieg in eine wertvolle Diskussion.


Das Gesagte ist weder überraschend noch neu. Die gendergerechte Sprache hat es empirisch nicht allzu leicht: „Egal, ob man nach Bildung, Migrationshintergrund, Ost/West oder Stadt/Land unterscheidet, in keiner Gruppe findet sich eine Mehrheit, die die gendergerechte Sprache als wichtigen Beitrag für die Gleichstellung betrachtet.“ (Mau et al. 2024: 196). Gleichwohl sprechen sich die meisten Menschen für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung aus und die Polarisierung ist nicht so umfangreich, wie vermutet (ebd.: 202).


Warum ist es dennoch relevant, sich mit gendergerechter Sprache zu beschäftigen? Wichtige Argumente liefert Simon Meier-Vieracker, Professor für Angewandte Linguistik der TU Dresden, in seinem Buch: „Sprache ist, was du draus machst! Wie wir Deutsch immer wieder neu erfinden.“


1) Das heutige Standarddeutsch wurde vor allem mit Einführung der Schulpflicht 1871 verbindlich normiert und führte zur Einführung von Grammatikregeln (Meier-Vieracker 2024: 30). Das heutige Deutsch wurde also top-down durchgesetzt. Das Argument einer natürlichen Sprachentwicklung wackelt also.


2) Der Wesenszug von Sprache ist Variation (ebd.: 19). Wir alle, die die Sprache sprechen sorgen also für Variation und Anpassung. Durch viele verschiedene Einflüsse (z.B. leichter Zugang zu diversen Medien der Kommunikation) verändern wir alle bottom-up die deutsche Sprache.


3) In der deutschen Sprache gibt es eine Ungleichbehandlung: „Die Anwesenheit des männlichen Geschlechts in Gruppen findet immer Berücksichtigung in unseren Gruppenbezeichnungen, die des weiblichen Geschlechts dagegen nicht.“ (ebd.: 96). Der Mann ist der Normalfall! Sprache bildet diese gesellschaftlichen Zustände ab.


4) Bei der binären Nennung von Geschlecht finden weitere Geschlechter keine sprachliche Repräsentation: „Es ist für alle Menschen existentiell wichtig, von anderen Menschen wahrgenommen, beachtet und in ihrer Identität bestätigt zu werden.“ (Pusch 1984: 24). Die deutsche Grammatik enthält Spielräume, um Geschlechter abzubilden. So z.B. den so genannten Genderstern „*“.


5) Frauen werden immer mitgedacht! Eine gendergerechte Sprache stört den Lesefluss! Beide Argumente finden empirisch keine Belege. So nennen Befragte häufiger Frauen als Lieblingsschauspielerinnen, wenn diese in der Frage auch explizit so benannt werden. Beim Lesen einer Packungsbeilage in der männlichen Form (generisches Maskulinum) oder die Verwendung des „Binnen-I“, z.B. PatientInnen sind die Befragten in der Lage, in beiden Varianten den Inhalt zu erfassen (Meier-Vieracker 2024: 107f.).


Fun Fact am Ende: Der Rat der deutschen Rechtschreibung (dieser wird gerne auch mal als Rat der deutschen Sprache bezeichnet, was wiederum zeigt, wie kreativ wir Menschen doch sind), empfiehlt eine gendergerechte Sprache und beobachtet die aktuelle Entwicklung.




Mau, Steffen/ Lux, Thomas/ Westheuser, Linus, 2024: Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft. Berlin.


Meier-Vieracker, Simon, 2024: Sprache ist, was du draus machst! Wie wir Deutsch immer wieder neu erfinden. München.


Pusch, Luise F., 1984: Das deutsche als Männersprache. Frankfurt a.M.

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